Stechender Hohlzahn (Galeopsis tetrahit)

Die Bedeutung des Stechenden Hohlzahns (Galeopsis tetrahit) in der Kosmetik und Körperpflege

Der Stechende Hohlzahn (Galeopsis tetrahit) gehört zur Familie der Lippenblütengewächse (Lamiaceae). Der deutsche Gattungsname „Hohlzahn“ ist auf 2 hohle, kegelförmige Ausstülpungen auf der Unterlippe, die an die Reißzähne eines Raubtieres erinnern, zurückzuführen.


Die Ausstülpungen auf der Unterlippe der Blüte erinnern an die Reißzähne im Unterkiefer eines Raubtieres. Dieser Ähnlichkeit verdankt die Pflanzengattung ihren deutschen Namen „Hohlzahn“. Fotos: M. Neitzke

Es ist keine in der Heilkunde verwendete Pflanze, wie andere Vertreter dieser Gattung. So wird etwa ein Verwandter des Stechenden Hohlzahns, der Saat-Hohlzahn (Galeopsis segetum), in der Pflanzenheilkunde bei leichten Entzündungen der Atemwege verwendet. Aufgrund seiner antioxidativen Eigenschaften, bedingt durch die hohen Polyphenolgehalte, ist der Stechende Hohlzahn allerdings für die Kosmetik- und Körperpflegeindustrie von Interesse.[7] Der Extrakt aus Blüten, Blättern und Stängeln des Stechenden Hohlzahns verhindert, ebenso wie die Extrakte des Saat-Hohlzahns, durch Sauerstoff verursachte Oxidationsprozesse und damit den Abbau und Verderb von Inhaltsstoffen in Kosmetika und Körperpflegeprodukten.[4, 5] Neure Untersuchungen eröffnen aber weitere Anwendungsmöglichkeiten, die weit über Konservierung von Körperpflegeprodukten hinausgehen. So wurde eher durch Zufall der positive Einfluss der Extrakte des Stechenden Hohlzahns auf das Haarwachstum entdeckt.[3] Dieser soll sogar noch stärker sein, als der des Saat-Hohlzahns, der bereits in verschiedenen auf dem Markt befindlichen Präparaten, enthalten ist.[2, 9, 10, 11] Durch eine Stimulierung der Zellteilung in der Haarzwiebel wird das Haarwachstum gefördert.[3] Das Haar wird dichter und fülliger. Diese Wirkung des Pflanzenextraktes scheint zumindest teilweise auf einige biologisch aktive Substanzen zurückzuführen sein, die auch in den Extrakten des Saat-Hohlzahns nachgewiesen worden sind.[3] Die Extrakte des Stechenden Hohlzahns können sowohl innerlich angewendet als auch direkt auf die Kopfhaut aufgetragen werden. Die Entdeckerinnen dieses Effektes des Stechenden Hohlzahns sehen die Einsatzgebiete dieses Pflanzenextraktes sowohl im Bereich der Kosmetik als auch in der Medizin.[3]

Botanischer Steckbrief und Blütenbesucher des Stechenden Hohlzahns

Vier Merkmale weisen den Stechenden Hohlzahn als Mitglied der Familie der Lippenblütengewächse aus: die im unteren Teil zu einer Röhre verwachsenen Kronblätter und der 2lippige Saum der Blütenkrone mit nur einer Symmetrieebene (zygomorphe bzw. dorsiventrale Blüte), der vierteilige Fruchtknoten, der vierkantige Stängel und die gekreuzt gegenständige Blattstellung (dekussiert).[6]

Der Stechende Hohlzahn ist an vier Merkmalen als Mitglied der Familie der Lippenblütler zu erkennen: gekreuzt gegenständige Blattstellung (links), vierkantiger Stängel (Mitte), die aus Ober- und Unterlippe bestehende Blütenkrone (rechts oben) und der vierteilige Fruchtknoten (rechts unten). Fotos: M. Neitzke, Zeichnung: Sturms (1906)[12]


Der einjährige, 10 bis 60 cm hoch werdende Stechende Hohlzahn, wächst in Gebüschsäumen, auf Äckern und Schuttplätzen, auf Waldschlägen sowie an Wegrändern. Er bevorzugt frische, nährstoffreiche sowie lockere Böden und zeigt eine gute Stickstoffversorgung an.[1, 6]

Ein typischer Standort des Stechenden Hohlzahns sind Acker- und Wegränder. Fotos: M. Neitzke

Ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal zu den anderen 6 in Deutschland vorkommenden Hohlzahnarten ist die starke Verdickung unterhalb der Knoten sowie die rückwärts gerichteten abstehenden Borstenhaare.[6]

Die starke Verdickung des Stängels unterhalb der Knoten ist ein wichtiges Erkennungsmerkmal des Stechenden Hohlzahns. Fotos: M. Neitzke

Die roten, gelegentlich auch weißen Blüten, sind in der Regel 15 bis 22 mm, selten bis 28 mm lang. Die deutlich 2-lippige, in Ober- und Unterlippe gegliederte Krone, weist auf dem Mittellappen der dreiteiligen Unterlippe ein gelbes Saftmal auf, das von einem Netz aus roten Linien durchzogen wird. Saftmale dienen der Nahorientierung der Insekten.[8]


Neben roten Blüten mit gelben Saftmalen, die von einem roten Muster durchsetzt sind, kommen bei dem stechenden Hohlzahn auch weiße Blüten vor. Deutlich sind die schwarzköpfigen Drüsen im Blütenstand zu erkennen (rechts). Fotos: M. Neitzke

Die Unterlippe dient als Anflugplatz. Sobald ein Insekt gelandet ist, versucht es mit seinem Rüssel an den Nektar zu gelangen, der von einer Honigdrüse am Grunde des Fruchtknotens ausgeschieden wird. Dabei helfen die beiden kegelförmigen hohlen Ausstülpungen am Eingang zur Kronröhre. Diese Ausstülpungen dienen der Führung des Insektenrüssels.[1]


Eine Ackerhummel (Bombus pascuorum) nutzt die Unterlippe der Blüte als Landeplatz und zum Festklammern an der Blüte,

während sie mit ihrem langen Rüssel versucht an den Nektar am Blütengrund zu gelangen. Fotos: M. Neitzke


Die zahnartigen hohlen Ausstülpungen auf der Unterlippe der Blütenkrone dienen der Führung des Rüssels der blütenbe-suchenden Insekten, hier einer Ackerhummel (Bombus pascuorum). Fotos: M. Neitzke

Die 4 Staubblätter, 2 längere und 2 kürzere ragen aus der Kronröhre heraus und werden von der gewölbten, behaarten Oberlippe überdacht.[6] Die Narbe und die sich nach unten öffnenden Antheren können so von den Besuchern mit dem Kopf, Brust und Rücken berührt werden. Sie können dabei Pollen in ihrem Haarkleid aufnehmen und zur nächsten Blüte transportieren oder Fremdpollen auf der Narbe abladen.


Eine Hummel berührt mit ihrem Kopf zuerst die unter der Oberlippe stehenden Staubbeutel und pudert die Kopfhaare mit Pollen ein. Fotos: M. Neitzke

Die einzelnen Blüten sind in dichten Scheinquirlen angeordnet, die in den Achseln von Hochblättern stehen. Dies erleichtert den Insektenbesuch erheblich.


Die einzelnen Blüten sind in dichtblütigen Scheinquirlen angeordnet. Fotos: M. NeitzkeNeuer Text

Die lang ausgezogenen spitzen und harten Kelchzähne haben dem Stechenden Hohlzahn seinen Artnamen „Stechender“ oder „Dorn“- Hohlzahn eingetragen. Diese Kelchzähne erfüllen eine wichtige Aufgabe bei der Verbreitung der Samen. An der Pflanze vorbeistreifende Tiere verhaken sich mit dem Fell in den dornigen Kelchzähnen und bleiben an ihnen hängen. Dadurch verbiegen sich die elastischen Halme; lösen sich die Kelchzähne aus dem Fell, wenn das Tier weiterwandert, schnellen die Stängel in die Ausgangslage zurück und die Samen werden aus den Kelchen herausgeschleudert. Pflanzen mit dieser Art der Samenverbreitung werden als „Tierstreuer“ bezeichnet.[1]


Die Kelchzipfel der Blüten des Stechenden Hohlzahns sind lang, derb und spitz. Bei der Reife zerfällt die Frucht in vier 1-samige Teilfrüchte (Klausen) (rechts). Verhaken sich die dornigen Kelchzähne in dem Fell vorbeistreifender Tiere, werden die Früchte aus dem Kelch herausgeschleudert. Fotos: M. Neitzke

Da die Länge der Blütenkrone sehr variabel ist, können sehr unterschiedliche Insekten, den Nektar am Blütengrund erreichen. In der Regel sind es aber vor allem die langrüsseligen Hummeln und Schmetterlinge, aber auch die Honigbiene, die als Blütenbesucher beobachtet werden.[8] Die Schwebfliegen mit ihren kurzen Rüsseln können sich nur am Pollen bedienen.


Als Bestäuber spielen in der Regel nur langrüsselige Hummeln wie die Ackerhummel (Mitte, Rüssellänge einer Arbeiterin: 12-13 mm) und die Gartenhummel (rechts, Rüssellänge einer Arbeiterin: 14-16 mm) sowie die Honigbiene (links, Rüssellänge einer Arbeiterin: 6-7 mm) eine Rolle. Fotos: M. Neitzke


Schwebfliegen mit ihren kurzen Rüsseln können den Pollen am Grund der langen Blütenkronröhre nicht erreichen. Sie können nur den Pollen der aus der Kronröhre herausragenden Staubblätter ernten. (links: Mistbiene, Scheinbienen-Keilfleckschwebfliege (Eristalis tenax), rechts: Schwarzkopfschwebfliege (Melanostoma spec.). Fotos: M. Neitzke

Die Hauptbestäuber des Stechenden Hohlzahns sind langrüsselige Hummeln und die Honigbiene. Andere Blütenbesucher, wie Schmetterlinge und Schwebfliegen, die das das Nektar- und Pollenangebot ebenfalls nutzen, spielen dagegen eine untergeordnete Rolle. 

Literatur


  1. Düll, R. & H. Kutzelnigg (1994): Botanisch-ökologisches Exkursionstaschenbuch. 5. Aufl., Quelle & Meyer, Heidelberg, Wiesbaden, 590 S.
  2. Giuliani, G. & A. Benedusi (2018): Use of a vegetal extract for the prevention and treatment of hair loss. U.S Patent EP3062636B1, 27 June 2018.  
  3. Giuliani, G., Benedusi, A. & Marzani, B. Vegetable extract to prevent and treat hair loss. WO2018130613A1. patents.google.com/patent/WO2018130613A1/2n (2018).
  4. https://www.haut.de
  5. https://cosmileeurope.eu/de/inci/inhaltsstoffe/24189/galeopsis-tetrahit-flower-leaf-stem-extract/
  6. Jäger, E.J. (Hrsg.) (2011): Rothmaler - Exkursionsflora von Deutschland. Gefäßpflanzen: Grundband. 20. Aufl., Springer Spektrum, Berlin Heidelberg.
  7. Matkowski, A., Tasarz, P. & E. Szypuła (2008): Antioxidant activity of herb extracts from five medicinal plants from Lamiaceae, subfamily Lamioideae. J. Med. Plant Res., 2: 321-330.
  8. Müller, H. (1873): Die Befruchtung der Blumen durch Insekten. Leipzig.
  9. Parodi, C., Hardman, J. A., Allavena, G., Marotta, R., Catelani, T., Bertolini, M., Paus, R. & B. Grimaldi (2018): Autophag is essential for maintaining the growth of a human(mini-)organ. Evidence from scalp hair follicle organ culture. PloS Biol 16(3): e2002864 https:/doi.org/10.1371/journal.pbio.2002864
  10. Pinto, D., Giuliani, G. & B. Marzani (2016): 209 Galeopsis segetum Necker extracts for the prevention an hair loss. J. Invest. Derm., 136: 196. DOI:10.1016/J.JId.201606.228.
  11. Rinaldi, F., Marzani, B. & D. Pinto (2022): Evaluation of tolerance and trichological efficacy of a food supplement in men and woman with telogen effluvium-like disorders. Cosmetics 2022, 9,135. https://doi.org/10.3390/cosmetics9060135
  12. Sturm`s, J. (1906): Flora von Deutschland. 11. Band, Hrsg.: Krause, E. H. L., Stuttgart, Verlag K. G. Lutz, 2. Aufl., 223 S., 64 Tafeln. 
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