Lebensraum Hecke als Schönheitssalon




Der Lebensraum Hecke als Schönheitssalon


  -  Die Bedeutung der Heckengehölze als Rohstofflieferanten und als Lebensraum


 

The hedge habitat as a beauty salon


The importance of hedges as raw material supplier for beauty care and habitat

 


 

„Gott in seiner unendlichen Güte hat den Menschen durch das Medium Pflanzen fast alles geschenkt, was er zu seiner Ernährung, Kleidung und Heilung braucht“. Hätte John Gerard, ein berühmter englischer, von 1545 bis 1612 lebender Chirurg und Botaniker 400 Jahre später gelebt, hätte er diese Liste seiner Aufzählungen sicherlich um „Insekten“ sowie um „Körperpflege und Kosmetik“ erweitert. Seit der Botaniker Christian Konrad Sprengel (1750-1816), 1793 die Bedeutung der Fremdbestäubung der Pflanzen durch Bienen entdeckte und 1811 in seinem, Buch: "Die Nützlichkeit der Bienen und die Notwendigkeit der Bienenzucht, von einer neuen Seite dargestellt“ zum ersten Mal die Bedeutung der Bienen für die Ertragssicherheit der damals wichtigsten Nahrungs- und Faserpflanzen formulierte, wissen wir, dass die Pflanzen in den allermeisten Fällen die Hilfe der Insekten benötigen, „um uns ihre Geschenke zur Verfügung“ zu stellen. 

Zurzeit werden die Inhaltsstoffe von etwa 24 % der Pflanzen der mitteleuropäischen Flora in der Kosmetikindustrie verwendet. Hecken sind der Lebensraum in Deutschland mit dem höchsten Anteil an Arten (50,2 %), die als Rohstofflieferanten in der Kosmetikindustrie eine Rolle spielen. Zum jetzigen Zeitpunkt sind etwa 21000 Kosmetikprodukte auf dem Markt, in denen Rohstoffe von Heckenpflanzen oder von Pflanzen, die durch Züchtung aus in Hecken heimischen Pflanzen hervorgegangen sind, verarbeitet sind.  Die Bandbreite reicht von Artikeln der dekorativen Kosmetik, wie Lippenstiften über Anti-Aging Produkte bis hin zu Körperpflegeprodukten wie Duschgelen, Shampoos oder Zahnpasta. Darüber hinaus zählen Hecken zu den besonders artenreichen Lebensräumen in Mitteleuropa. Mit ihrer hohen Pflanzenvielfalt und der unfassbaren Diversität an biologisch aktiven Inhaltsstoffen mit positiven Wirkungen auf unsere Haut und Gesundheilt stellen Hecken die reinsten Schönheitssalons und Apotheken dar.

Heckenpflanzen enthalten zahlreiche bioaktive Verbindungen, die als Rohstoffe für die Kosmetikindustrie eine wichtige Rolle spielen. Sie sind ein wichtiger Lebensraum für Insekten, Vögel und Säugetiere. Diese wiederum garantieren durch ihre Bestäubertätigkeit und Verbreitung der Samen einen Fortbestand der Hecken u.a. als Lebensraum, als biologische Fabrik für eine Vielzahl chemischer Verbindungen und als genetisches Reservoir. Fotos: M. Neitzke

Um die Frage beantworten zu können, wie es zu dieser großen Bedeutung der Hecken kommt, müssen wir uns zunächst mit den Faktoren beschäftigen, die den Lebensraum Hecke ausmachen.

Charakteristisch für eine Hecke ist ihre linien- bzw. bandartige Struktur. Aufgebaut werden Hecken aus Sträuchern wie z.B. Haselnuss, Schlehe, Heckenrose, Weißdorn, Pfaffenhütchen, Blutroter Hartriegel, Feldahorn und Schwarzer Holunder. Zwischen den Sträuchern können aufgewachsene Bäume, wie z.B. Rotbuche, Hainbuche oder Baumahorn eingestreut sein. Idealerweise sind Hecken mehrreihig aufgebaut, bestehend aus hintereinander gestaffelten Gehölzen unterschiedlicher Größen und Kronenformen. An einer solchen idealtypischen Hecke kann man drei Bereiche unterscheiden. Der innerste der drei, der Kern einer Hecke wird aus größeren Sträuchern und einzelnen Bäumen aufgebaut. Nach außen wird die Hecke von kleineren Sträuchern umgeben, die den sog. Heckenmantel bilden. Dem Heckenmantel vorgelagert und mit ihm verzahnt findet sich im Halbschatten der Hecken ein mehr oder weniger breites Band, das aus ausdauernden Kräutern (Stauden) und Gräsern aufgebaut ist. Dieser die Hecke „säumende“ Krautstreifen bildet den sog. Heckensaum.

Schematischer Querschnitt durch eine intakte Hecke mit Heckenkern, Mantel und Heckensaum (verändert nach Schweiger, E., 2016)

Ein solcher Aufbau einer intakten Hecke hat zur Folge, dass in Hecken auf kleinstem Raum ganz unterschiedliche Lebensbedingungen herrschen und die Strukturvielfalt sehr hoch ist. Dies ermöglicht das Vorkommen vieler verschiedener Pflanzen- und Tierarten. Hinzu kommt die typische Lage einer Hecke in der Landschaft. Hecken verlaufen im Allgemeinen entlang von Wegen oder entlang von Grenzen zwischen landwirtschaftlichen Nutzflächen. Das bedeutet, dass hier Pflanzenarten verschiedener Biotoptypen, wie z. B. aus Wäldern einerseits und aus Wiesen, Weiden oder Äckern andererseits aufeinandertreffen und sich zu besonders artenreichen Pflanzenbeständen vermischen können. Diese Faktoren führen dazu, dass sich Hecken durch einen großen Artenreichtum auszeichnen. Von besonderer Bedeutung für unsere Fragestellung ist der Artenreichtum der Sträucher und Bäume im Heckenkern und Heckenmantel. In den unterschiedlichen Heckentypen Mitteleuropas, die sich unter den jeweiligen Standortbedingungen herausbilden, können insgesamt über 120 verschiedene Sträucher und Bäume (ohne Berücksichtigung der zahlreichen Kleinarten der Brombeere (Rubus fruticosus agg.), die eine Sammelart mit über 2000 schwer unterscheidbarer Kleinarten darstellt) vorkommen. Der Anteil der Arten, die in ihren Organen für die Kosmetikindustrie interessante bioaktive Inhaltsstoffe aufweisen, ist bei den Sträuchern mit fast 55 % auffallend hoch. Bei den in den Krautsäumen gefundenen Pflanzen liegt er bei gut 48 %. Die Körperpflegeindustrie gehört also zu den besonderen Nutznießern der Biodiversität der Hecken und hier insbesondere der Heckengehölze. Um sicher zu stellen, dass uns diese Ressource auch in Zukunft erhalten bleibt, reicht es nicht aus, die entsprechenden Pflanzen zu schützen. Ziel muss der Schutz ganzer Lebensräume sein. Damit wir in vollem Umfang von der Bioressource Pflanze profitieren können, bedarf es nämlich vieler verschiedener Interaktionen der unterschiedlichen Komponenten eines Lebensraumes, wie z.B. Bestäubern und Samenverbreitern. Die einzelnen Akteure eines jeden Lebensraumes sind durch ein komplexes Wirkungsgefüge miteinander verbunden. Das Herausbrechen nur einer Komponente kann unübersehbare Folgen für den Lebensraum und seine Bewohner nach sich ziehen. Am Beispiel der mitteleuropäischen Heckengehölze, die in der Schönheitspflege eine Rolle spielen, soll das Zusammenspiel und die gegenseitigen Abhängigkeiten einiger wesentlicher Komponenten des Lebensraumes Hecke aufgezeigt werden.


Von den Gehölzen einer Hecke werden in der Kosmetikindustrie alle Pflanzenteile, wie Knospen, Blüten, Blätter, Früchte, Samen, Rinde, Holz und Wurzeln verwendet. Fotos: M. Neitzke


Von den Gehölzen einer Hecke werden in der Kosmetikindustrie alle Pflanzenteile, wie Knospen, Blüten, Blätter, Früchte, Samen, Rinde, Holz und Wurzeln verwendet. So vielfältig wie die Artenzusammensetzung der Hecken ist, so vielfältig ist auch das Aussehen, die chemische Zusammensetzung und die Wirkung der Extrakte der einzelnen Pflanzenorgane.




Aufgrund ihrer hohen Diversität und ihres hohen Gehaltes an bioaktiven Inhaltsstoffen besitzen die Extrakte der verschiedenen Teile der Gehölze einer Hecke viele positive Wirkungen auf unsere Haut, die in der Kosmetikindustrie genutzt werden können. Fotos: M. Neitzke

Jedes Teil eines jeden Strauchs oder Baums besitzt ein eigenes charakteristisches chemisches Profil mit speziellen Besonderheiten hinsichtlich der bioaktiven Verbindungen. Hierdurch ergibt sich eine enorme Bandbreite an Verwendungsmöglichkeiten für die Heckengehölze in der Kosmetikindustrie. In rund 13200 Kosmetik- und Körperpflegeprodukten sind die verschiedenen Teile der Gehölze verarbeitet (zusammengestellt aus Daten von cosmetics.specialchem, incibeatuy, incidecoder, hautschutzengel, haut.de). Die Spitzenposition nehmen die verschiedenen Früchte einschließlich der Samen mit fast 8000 Produkten ein, gefolgt von den Rinden verschiedener Gehölze (̴ 1980), den Blättern (̴1550) und den Blüten (̴ 1020). Spitzenreiter unter den Gehölzarten ist die Heckenrose (Rosa canina) mit fast 2400 Produkten in denen sie verarbeitet ist.

Da alle Pflanzenorgane der Holzgewächse von der Kosmetikindustrie genutzt werden, stellen die Hecken während des gesamten Jahres eine wertvolle Rohstoffquelle dar. Das Maximum der nutzbaren Pflanzen bzw. Pflanzenorgane liegt im Sommer zur Hauptblütezeit der Heckengehölze und im Spätsommer und Frühherbst zur Zeit der Fruchtreife. Fotos: M. Neitzke

Da alle Pflanzenorgane sowie die Früchte der Holzgewächse von der Kosmetikindustrie genutzt werden, stellen die Hecken während des gesamten Jahres eine wertvolle Rohstoffquelle dar. Während von einigen Arten entweder nur die Knospen, Blüten, Früchte, Blätter oder die Rinde genutzt werden, finden bei anderen Arten, wie z.B. der Heckenrose, dem Schwarzen Holunder und der Schlehe gleich mehrere Teile Verwendung, so dass diese Pflanzen während der meisten Zeit des Jahres als Quelle für wertvolle bioaktive Substanzen dienen können. Bereits im Februar, in milden Wintern sogar noch früher, bevor der Strauch seine Laubblätter treibt, sind die auffälligen gelben Kätzchen, wie die männlichen Blütenstände des Haselstrauchs (Corylus avellana) genannt werden, in den Hecken von weitem zu erkennen. Ebenfalls lange vor dem Laubaustrieb erscheinen im April die schneeweißen Blüten der Schlehe (Prunus spinosa). Im April beginnen auch die unscheinbaren, da windbestäubten Blüten der Hainbuche (Carpinus betulus), der Rotbuche (Fagus sylvatica), der Schwarzpappel (Populus nigra) und der Silberweide (Salix alba) zu blühen. Das Frühjahr ist auch die Sammelzeit für die Knospen der Gehölze. Der Erntezeitpunkt variiert zwischen den einzelnen Arten und ist von der Witterung abhängig. In warmen Jahren kann bei manchen Arten mit der Ernte bereits im Januar begonnen werden. Zusammen mit dem Laubaustrieb öffnen sich dann im Vollfrühling, im Mai, die weißen Blüten des Weißdorns (Crataegus monogyna, Crataegus laevigata), der Vogelkirsche (Prunus avium), des Wilden Apfels (Malus sylvestris) und des Gemeinen Schneeballs (Viburnum opulus).  Der Juni schließlich ist der Rosenmonat. Jetzt überziehen zusätzlich die rosa Blüten der Wilden Rosen die Hecken mit einem rosenroten Schleier. Der Frühling und der Frühsommer verwandeln die Hecken in ein Blütenmeer. Dieser Anblick hat vermutlich auch Johann Wolfgang von Goethe begeistert und zu folgender enthusiastischen Beschreibung einer Hecke veranlasst: „Jeder Baum, jede Hecke ist ein Strauß von Blumen, und man möchte zum Maienkäfer werden, um in dem Meer von Wohlgerüchen herumschweben und all seine Nahrung darin finden zu können.“




Vielleicht hat Johann Wolfgang von Goethe einen Junikäfer auf der Blüte einer Heckenrose (Rosa canina) beobachtet, als er seine Liebeserklärung an eine blühende Hecke verfasste. Foto M. Neitzke

Im Juni beginnt die Reife der ersten Früchte, wie die der Vogelkirsche oder der Roten Johannisbeere. Die Mehrzahl der Früchte reift aber erst ab Ende August. Rinden können das ganze Jahr über gesammelt werden.

Die Inhaltsstoffe und ihre Wirkungen, die bestimmte Heckenpflanzen als wertvolle Rohstofflieferanten für die Kosmetikindustrie als besonders geeignet erscheinen lassen, sind z.T. dieselben, die diese Pflanzen zu wertvollen Heil- und Nahrungspflanzen machen. Neben Wirkstoffen, die direkt in die mit der Hautalterung verbundenen Prozesse, wie Collagen- und Elastinabbau, eingreifen können, finden sich Wirkstoffe mit einem weiten Wirkungsbereich, die daher auch für die Pharma- und Nahrungsmittelindustrie von Interesse sind. So enthalten viele Heckengehölze Wirkstoffe mit antioxidativen, antibakteriellen, antiviralen und antientzündlichen Eigenschaften sowie Verbindungen, die die Wundheilung fördern. Dazu kommen ganz spezifische Eigenschaften, die Heckenpflanzen zu wertvollen Heilpflanzen werden lassen. Wer kennt sie nicht, die positive Wirkung des Weißdorns auf unser Herz? Der Lebensraum „Hecke“ ist daher auch reich an Heilpflanzen und Pflanzen, die in der Nahrungsmittelindustrie Verwendung finden. Eine Analyse einer Artenliste aller in Hecken vorkommenden Pflanzen zeigt, dass etwa 72 % der Arten nach einer Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als Heilpflanzen angesprochen werden können. Nach dieser Definition gelten alle Pflanzen als Heilpflanzen, die zum Zwecke der Heilung, Linderung und Vorbeugung von Krankheiten eingesetzt oder zur Herstellung von Medikamenten verwendet werden. Das Reservoir an Heilpflanzen der Hecken wird allerdings von verschiedenen Therapierichtungen in unterschiedlichem Maße genutzt. Nahezu 70 % (68,7%) der identifizierten Heilpflanzen in Hecken werden in der traditionellen Medizin europäischer oder außereuropäischer Länder eingesetzt. Die intensive Erforschung der pharmakologischen Eigenschaften und chemischen Zusammensetzung dieser Pflanzen ließ in vielen Fällen ihren therapeutischen Einsatz als plausibel erscheinen. Insgesamt liegen für knapp 63 % (62,94 %) der nach der Definition der WHO als Heilpflanzen angesprochenen Pflanzen pharmakologische und chemische Untersuchungen vor.


Anteil der in Hecken beheimateten Heilpflanzen in verschiedenen Therapierichtungen.


Überreste von Früchten, wie Kerne und Schalenreste, die bei archäologischen Ausgrabungen aus der Jungsteinzeit gefunden wurden, zeigen, dass auch nach der Änderung seiner Lebensweise vom Jäger und Sammler zum sesshaften Bauer, nach wie vor das Sammeln von Früchten der Sträucher, eine große Bedeutung für die menschliche Ernährung hatte. Archäologen vermuten, dass zeitgleich mit den ausgedehnten Rodungsmaßnahmen auch die Hecken entstanden. Die Sträucher, die heute unsere Hecken bilden, wuchsen früher nur auf Lichtungen und am Rand der Wälder. Nach der Rodung der Wälder konnten sich Gehölze, wie Schlehen, Weißdorn, Hasel, Wildrosen, Brombeeren und viele andere am Rande des kultivierten Landes, der Felder und Weiden ansiedeln. Dort bildeten sie eine natürliche Hecke, die Schutz vor wilden Tieren und Feinden bot. Auch dürfte die Entstehung der Hecken das Sammeln der begehrten Früchte erheblich erleichtert haben.   




Bei archäologischen Ausgrabungen in steinzeitlichen Siedlungen wurden Kerne und Überreste der Früchte von Heckengehölzen gefunden, die wir auch heute noch nutzen. Fotos: M. Neitzke

Die archäobotanischen Nachweise von Samen zahlreicher Heckengehölzen belegen, dass die Menschen schon damals auch die Früchte verwendeten, die wir noch heute zur Gewinnung von Säften, Gelees, Likören, Weinen und zur Ölgewinnung verarbeiten und die heute in der Nahrungsmittelindustrie eine wichtige wirtschaftliche Rolle spielen.

Auch heute nutzen wir die Früchte der Heckengehölze zur Herstellung von Säften, Gelees, Likören, Weinen und zur Ölgewinnung. Fotos: M. Neitzke

Bei der Beantwortung der Frage, inwieweit unseren Vorfahren aus der Steinzeit, Pflanzen zur Körperpflege oder eventuell sogar zu einer Art von „Kosmetik“ verwendet haben, sind wir auf Vermutungen und die Ergebnisse der experimentellen Archäologie angewiesen. So vermuten Archäologen, dass Früchte des Blutroten Hartriegels (Cornus sanguinea), einem häufigen Heckengehölz Europas, im Neolithikum zur Herstellung einer seifigen, cremigen und öligen Emulsion mit einem Peelingeffekt für die Haut zur Körperreinigung verwendet worden sein könnten. Aufgrund seines Saponingehaltes könnte das in Heckensäumen vorkommende Seifenkraut (Saponaria officinalis) ebenfalls zur Körperreinigung und Reinigung diverser Alltagsgegenstände genutzt worden sein. Reste von Kleidung und Keramikscherben zeigen, dass Pflanzen auch zum Färben von Alltagsgegenständen verwendet wurden. Funde von bearbeiteten und durchbohrten Kernen der Kornel- und Vogelkirsche, sowie der Schlehe, die vermutlich zu Schmuck verarbeitet wurden, zeigen, dass die Menschen der Steinzeit Wert darauflegten, sich zu schmücken. Es liegt daher die Vermutung nahe, dass auch pflanzliche Farben zur optischen Ausdrucksgestaltung von Gesicht und Körper eingesetzt wurden.

Die Früchte des Blutroten Hartriegels (Cornus sanguinea L.) dienen vielen Vögeln, wie hier einer Mönchsgrasmücke (Sylvia atricapilla) als Nahrung. Sie könnten unseren Vorfahren aus der Steinzeit zur Herstellung von Körperreinigungsmitteln gedient haben. Foto: M. Neitzke

Zu den Profiteuren der Diversität der Pflanzen einer Hecke gehören neben uns Menschen aber auch zahlreiche Tiere. Hecken stellen fast während des ganzen Jahres Nahrung für Insekten, Vögel und Säugetiere zur Verfügung. Da sich die einzelnen Gehölzarten der Hecken durch ihren Blühzeitraum im Jahresverlauf unterscheiden, stellen die Hecken durch das Aufblühen der einzelnen Arten hintereinander über viele Monate hinweg ein Nahrungsangebot für eine Fülle von Insekten zur Verfügung. Als erste bieten, in milden Jahren oft schon Ende Januar, die frühblühenden Sträucher, wie Hasel (Corylus avellana L.) und Erle (Alnus glutinosa) den Honigbienen und zeitigen Wildbienen ihren Pollen als Nahrung. Da diese Arten durch den Wind bestäubt werden produzieren sie keinen Nektar.

Die Hasel (Corylus avellana L.) gehört zu den Arten, die durch den Wind bestäubt werden und daher keinen Nektar produzieren. Ihre Pollen dienen Insekten, vor allem der Honigbiene (Apis mellifera, links) und der Winterschwebfliege (Episyrphus balteatus, rechts)  als Nahrungsquelle im zeitigen Frühjahr. Fotos: M. Neitzke





Die im Vergleich zu den weiblichen Blütenständen deutlich größeren männlichen Blütenstände der Buche (Fagus sylvatica L.) sind als Frühlingsfutter auch bei Vögeln, wie hier dem Weibchen des Dompfaffs (Pyrrhula pyrrhula L.) (links) und der Ringeltaube (Columba palumbus L.) (rechts) beliebt. Fotos: M. Neitzke


Im März und April folgen die gelben Blüten der Kornelkirsche (Cornus mas L.) und die weißen Blüten der Schlehe (Prunus spinosa). Diese sind wichtig für die aus der Winterruhe erwachenden, überwinternden Insekten, wie Schmetterlingen, Hummelköniginnen und früh fliegende Wildbienen. Je nach Blütenbau und Nektarangebot werden die Blüten dann während des Sommers von einer unterschiedlichen Zahl von Insekten aufgesucht. Rein statistisch werden die Blüten der verschiedenen insektenblütigen Heckengehölze von durchschnittlich 23 verschiedenen Insektenarten besucht. Die Bandbreite ist allerdings sehr groß. Sie reicht von lediglich 3 bis 4 beobachteten Arten bei den Johannisbeeren bis zu 70 bzw. 74 registrierten Arten bei der Schlehe (Prunus spinosa L.) und dem Weißdorn (Crataegus spec.) und sogar bis zu 124 Arten bei der Brombeere (Rubus fruticosus agg.).



Die Blüten der verschiedenen Heckengehölze können von zahlreichen Insektenarten besucht werden. Die Zahl hinter dem Pflanzennamen gibt die Zahl der Insekten an, die als Blütenbesucher der entsprechenden Art beobachtet wurden (zusammengestellt nach Angaben aus Hintermeier 2018, Müller 1873, Westrich 2018). Fotos: M. Neitzke



Das Blütenangebot für die Insekten endet erst mit der Blüte des Efeus (Hedera helix), die bis in den November hineinreichen kann. Diese späte Blüte, die bis zu 89 verschiedene Blütenbesucher anlockt, ist wichtig für viele wandernde Insekten, wie z. B. den Admiral und eine Reihe von Schwebfliegen, die hier ihre Energiereserven für den Flug in den Süden auftanken können.

Die Bestäubung der Blütenpflanzen wird nicht allein von den Honigbienen durchgeführt, sondern erfolgt gemeinsam mit den Wildbienen und anderen Insektenarten, v.a. Schwebfliegen. Aufgrund des dramatischen Rückganges der Insekten ist die Bestäubung nicht nur der kultivierten Nahrungspflanzen, sondern auch der Wildpflanzen in Gefahr.




Die Bestäubung der Blütenpflanzen, hier von der Vogelbeere (Sorbus aucuparia) wird von Honigbienen und Wildbienen gleichermaßen durchgeführt. Unterstützt werden sie von zahlreichen anderen Insektenarten. Foto: M. Neitzke


Allerdings sind das Ausmaß und die Folgen der Gefährdung der Bestäuberleistung zum jetzigen Zeitpunkt aufgrund der Komplexität der Zusammenhänge noch gar nicht voll erfasst. Da 80,9 % der Heckenpflanzen und 83,4 der in der Kosmetikindustrie verwendeten Heckenpflanzen von Insekten bestäubt werden, ist auch der Lebensraum Hecke von der „Bestäuberkrise“ betroffen. Besonders dramatisch ist das Ausbleiben einer Bestäubung durch Insekten bei selbstinkompatiblen (selbstunverträglichen) Arten, bei denen nach einer Bestäubung durch eigenen Pollen die Befruchtung verhindert wird. Zu diesen Arten gehören z.B. die Vogelbeere (Sorbus aucuparia), Wildapfel (Malus sylvestris) und die Vogelkirsche (Prunus avium). Versuche, in denen durch Ausschluss von Insekten eine Bestäubung durch diese verhindert wurde, zeigten eine signifikante Reduktion des Fruchtansatzes bei Schlehe (Prunus spinosa), Weißdorn (Crataegus) und Efeu (Hedera helix). Hundsrose (Rosa canina) und Brombeere (Rubus fruticosus agg.) zeigten in diesem Versuch keinen Rückgang des Fruchtansatzes. Die Auswirkungen auf den Fruchtansatz bei ausbleibender Insektenbestäubung beschreiben die negativen Folgen der Insektenbestäubung allerdings nur unvollständig. Wie wir heute wissen, spielt die Befruchtung der Insekten nicht nur bei der Bestäubung eine wichtige Rolle, sondern auch für die Qualität der ausgebildeten Früchte. Ein Forscherteam aus Göttingen konnte in einem groß angelegten Experiment zeigen, dass bei Erdbeeren eine Bestäubung der Blüten durch Insekten nicht nur einen höheren Ertrag, sondern auch eine deutlich bessere Qualität der Früchte als nach einer Selbstbestäubung zur Folge hat. Selbstbestäubung resultiert in kleineren, leichteren und deformierten Früchten sowie einer geringeren Haltbarkeit. Zudem konnte anhand der Untersuchung des Pflanzenhormons Indol-3-Essigsäure aus der Gruppe der Auxine, gezeigt werden, dass sich eine Bestäubung durch Insekten auf die hormonellen und damit auf die physiologischen Prozesse während der Fruchtreife auswirkt.  Die im Vergleich zu einer Selbstbestäubung deutlich höheren Gehalte an Indol-3-Essigsäure nach einer Insektenbestäubung, führt das Forscherteam auf die Beobachtung zurück, dass eine Bestäubung durch Insekten zu einer gleichmäßigeren Bestäubung und damit zu einem besseren Fruchtansatz führt, der wiederum eine signifikant erhöhte Produktion des Phytohormons Indol-3-Essigsäure zur Folge hat. Darüber hinaus führte Insektenbestäubung wie anhand des Zucker-Säure-Verhältnisses nachgewiesen wurde, zu einem sortenspezifischeren Verhältnis von Geschmackskomponenten in der Frucht.


Im Vergleich zur Selbstbestäubung führt eine Insektenbestäubung  bei Erdbeeren zu einem höheren Ertrag und einer verbesserten Fruchtqualität.  Fotos M. Neitzke

Ähnliche Ergebnisse konnten auch bei Untersuchungen an der Schwarzen Johannisbeere gezeigt werden. Eine Bestäubung durch Insekten führt zu einer Steigerung des Fruchtansatzes um das drei- bis fünf-fache, einer Vermehrung der Samenbildung um bis auf die doppelte Menge und einer Zunahme des Beerengewichtes. Auch eine selektive Abtreibung selbstbestäubter Früchte wird diskutiert. Die Folge ist das Phänomen eines frühzeitigen Abfallens der Beeren, das auch unter anderen ungünstigen Umweltbedingungen beobachtet wird und das als Abtropfen, Abfließen oder Verrieseln bezeichnet wird. Der Vorteil für die Pflanzen würde in einer Konzentrierung ihrer begrenzten Ressourcen auf fremdbestäubte Früchte bestehen.

Da der positive Effekt der Insektenbestäubung nicht nur für die Erdbeeren, sondern auch für andere Kulturfrüchte gezeigt werden konnte, schlussfolgert das Göttinger Forscherteam, dass der von ihnen gefundene Einfluss der Bestäuber auf physiologische Prozesse bei der Fruchtreife auch auf andere Kulturfrüchte, die von einer Insektenbestäubung abhängig sind, übertragen werden kann. Naheliegend ist allerdings auch, dass der bei Kulturpflanzen festgestellte Einfluss der Insektenbestäubung auf Fruchtansatz, Gewicht, Samenzahl, Fruchtchemie und physiologische Prozesse bei der Fruchtreife sowie ein frühzeitiges Abwerfen von aus einer Selbstbestäubung hervorgegangen Früchten auch auf Wildpflanzen übertragen werden kann. Dies hätte u.a. über die Beeinflussung von Nahrungsnetzen und die Ausbreitungsfähigkeit der Pflanzen unweigerlich negative Folgen für das ganze Ökosystem. In Anbetracht der Bedeutung, die die Früchte einheimischer, insektenbestäubter Gehölze für die Kosmetik- und Nahrungsmittelindustrie sowie die Pharmazie haben, darf uns Konsumenten der dramatische Rückgang der Insekten und die damit einhergehende Einschränkung der Insektenbestäubung nicht gleichgültig sein. Die Fokussierung der Diskussion auf unsere Hauptnahrungsmittel verstellt den Blick auf die Tatsache, dass wir auch in anderen Bereichen unseres Lebens, auf die Produkte der Insektenbestäubung angewiesen sind und sein werden. Hinzu kommt, dass zum jetzigen Zeitpunkt noch unklar ist, auf welche Bereiche des Stoffwechsels sich eine Insektenbestäubung auswirken kann.



Als Folge des Rückganges der Insekten kommt es zu einem Rückgang der Bestäubung mit vielfältigen Folgen für Ökosysteme und den Menschen als Teil der Ökosysteme. rechte Spalte, von oben nach unten: Vogelbeere (Sorbus aucuparia) mit Amselmännchen (Turdus merula), Weißdorn (Crategus) , Schlehe (Prunus spinosa) mit Amselmännchen (Turdus merula). Fotos M. Neitzke


Ganz unmittelbar wird sich ein Rückgang des Fruchtansatzes und Fruchtqualität der Früchte der Heckengehölze auf die Tiere, die sich von ihnen ernähren, auswirken. Die Früchte der insektenbestäubten Gehölze werden durchschnittlich von 33 Vogelarten genutzt. Allerdings ist auch hier die Spanne zwischen den einzelnen Arten sehr hoch. Die höchsten Werte finden wir bei der Vogelbeere (Sorbus aucuparia) mit 63 beobachteten Arten und beim Holunder (Sambucus nigra) mit 62 Arten. Die Kornelkirsche (Cornus mas) liegt mit 15 beobachteten Arten deutlich niedriger. Bei vielen Heckengehölzen bleiben die Früchte bis weit in den Winter hinein an den Sträuchern und bilden eine wichtige Nahrungsquelle im Winter oder sogar bis in das nächste Frühjahr. Diese Pflanzen werden als Wintersteher bezeichnet. Der Lebensraum „Hecke“ hält so während der meisten Zeit des Jahres für fruchtfressende Tiere ein Nahrungsangebot bereit.


Für durchschnittlich 33 Vogelarten stellen die Früchte der Gehölze, die durch Insekten bestäubt werden, eine wichtige Futterquelle dar. obere Zeile von links nach rechts: Schwarzer Holunder (Sambucus nigra) mit Ringeltaube (Columba palumbus), Walnuss (Juglans regia) mit Großem Buntspecht (Dendrocopos major), Hagebutte der Heckenrose (Rosa canina) mit Blaumeise (Parus (Cyanistes) caeruleus), Pfaffenhütchen (Euonymus europaeus) mit Weibchen einer Mönchsgrasmücke (Sylvia atricapilla); untere Zeile von links nach rechts: Vogelbeere (Sorbus aucuparia) mit Amselmänchen (Turdus merula), Hartriegel (Cornus sanguinea) mit Männchen der Mönchsgrasmücke (Sylvia atricapilla), Gemeiner Schneeball (Viburnum opulus) mit Amselmännchen (Turdus merula), Efeu (Hedera helix) mit Amsel (Turdus merula). Fotos M. Neitzke

Bei vielen Heckengehölzen bleiben die Früchte bis weit in den Winter hinein an den Sträuchern und bilden eine wichtige Nahrungsquelle im Winter oder sogar bis in das nächste Frühjahr. Diese Pflanzen werden als Wintersteher bezeichnet (oben: von links nach rechts: Gemeiner Schneeball (Viburnum opulus) mit Amsel (Turdus merula), Heckenrose (Rosa canina), Efeu (Hedera helix), unten: von links nach rechts: Schlehe (Prunus spinosa), Gemeiner Liguster (Ligustrum vulgare), Weißdorn (Crataegus monogyna). Fotos M. Neitzke

 


Auch für zahlreiche Insekten sind nach dem Ende der Blühsaison die reifen Früchte eine willkommene Nahrungsquelle und bieten den Vögeln eine gemischte Mahlzeit. (obere Zeile: von links nach rechts: Deutsche Wespe (Vespula germanica) mit Kirsche (Prunus avium), Skorpionsfliege (Panorpa spec.) mit Himbeere (Rubus idaeus), Winterschwebfliege (Episyrphus balteatus) mit Schlehe (Prunus spinosa), untere Zeile von links nach rechts: Goldfliege (Lucilia spec.) mit Brombeere (Rubus fruticosus agg.), Winterschwebfliege (Episyrphus balteatus) mit Weißdorn (Crataegus spec.), Blaumeisen (Parus caeruleus) mit Weißdorn (Crataegus sepc.). Fotos M. Neitzke


Die Früchte der Heckenpflanzen stellen nicht nur den größten Anteil des Winterfutters für die früchtefressenden Stand- und Wandervögel, sondern sie sind auch wichtig für den Aufbau von Fettreserven für ziehende Insektenfresser. Zugvögel, wie die in dieser Hinsicht besonders gut untersuchte Gartengrasmücke, verdoppeln als Vorbereitung für den Vogelzug ihr Körpergewicht innerhalb kurzer Zeit durch den Aufbau von Fettreserven. Diese Depotfettbildung ist durch Insektenkost allein nicht möglich, wohl aber durch den Verzehr bestimmter Beeren (z.B. Schwarze Holunderbeeren) bzw. eine Mischkost aus Beeren und Insekten. Diese Umstellung folgt einem endogenen Rhythmus und ist unabhängig vom tatsächlich vorhandenen Angebot an Beeren und Insekten. Nicht alle Beeren sind für den Aufbau des Depotfetts geeignet. Entscheidend ist der unterschiedliche Gehalt an ungesättigten Fettsäuren und sekundären Pflanzenstoffen. Sekundäre Pflanzenstoffe bewirken auf noch ungeklärte Weise eine Umstellung in der Nahrungsverwertung, besonders der Verwertung ungesättigter Fettsäuren für den Aufbau von Depotfett, verbunden mit einer erhöhten Nahrungsaufnahme (Hyperphagie). Auch bei der Beziehung zwischen Vögeln und den Heckengehölzen treffen wir, wie auch schon bei den Insekten und den Heckenpflanzen, auf eine Wechselbeziehung. Vögel verbreiten nämlich nicht nur die Samen, sondern bei vielen erhöht sich die Keimfähigkeit nach einer Passage durch den Darm von Vögeln.



Insektenfresser wie die Gartengrasmücke (Sylvia borin) stellen im Sommer ihre Nahrung auf Beerenkost um, um sich das für den Vogelzug notwendige Depotfett zuzulegen. Foto M. Neitzke


Auch zahlreiche Kleinsäugerarten, wie z.B. der Siebenschläfer, verschiedene Mäusearten (Hasel-, Rötel, -Erd-, Gelbhals-, Wald- und Feldmaus) und Eichhörnchen fressen die Früchte der Heckengehölze. Heimische Schalenwildarten wie Rot-, Reh- und Schwarzwild nehmen herabgefallene Beeren auf. Besondere Vorliebe für die Beerennahrung unter den Raubsäugern haben Marder, Rotfuchs und Dachs.



Eichhörnchen lieben nicht nur Nüsse, sondern auch Hagebutten. Foto: M. Neitzke


Neben der Bestäubung erfüllen die Insekten, die die blühenden Heckensträucher als Nektar- und Pollenquelle nutzen aber auch andere zentrale Aufgaben in den Ökosystemen. Dadurch, dass die Insekten Aas und die Exkremente anderer Tiere fressen sowie abgestorbenes organisches Material kompostieren, sind sie nicht nur wichtige Abfallverwerter, sondern leisten einen wesentlichen Beitrag zur Aufrechterhaltung der Nährstoffkreisläufe in Ökosystemen.



Viele Insekten oder deren Larven, die die Blüten der Heckenpflanzen als Nektar- und Pollenquellen nutzen, spielen als biologische Schädlingsbekämpfer auch in benachbarten Ökosystemen eine große Rolle (s. Text) Fotos M. Neitzke


Ihre Bedeutung als biologische Schädlingsbekämpfer mögen folgende Beispiele verdeutlichen: Ein Volk der Gemeinen Wespe fängt 500 – 2000 g Insekten pro/Tag, ein Hornissenvolk 500 g Insekten/Tag, 1 Larve der Hainschwebfliege frisst 80 Blattläuse/Tag, eine Larve der Großen Schwebfliege etwa 150 Blattläuse pro Tag, die Larve der Kleinen Schwebfliegen fressen in Abhängigkeit von der Verfügbarkeit 460-1100 Blattläuse während ihres Lebens, ein Marienkäfer verspeist 100 -150 Blattläuse pro Tag, seine Larve ebenfalls täglich bis zu 150 Blattläuse, eine Larve der Florfliege, bekannt als Blattlauslöwe vertilgt in ihrer ca. 3 wöchigen Lebensdauer 300-500 Blattläuse. Da viele Tiere Insekten fressen, spielen sie eine Schlüsselrolle für zahlreiche Nahrungsnetze.




Insekten erfüllen viele wichtige Funktionen in Ökosystemen, wie Abfallbeseitigung, Bestäubung, Schädlingsbekämpfung und die Zersetzung von abgestorbenen Pflanzen. Sie spielen dadurch eine wichtige Rolle beim Nährstoffrecycling. Darüber hinaus sind als Nahrungsbestandteile anderer Tiere wichtige Bestandteile der Nahrungsnetze unserer Lebensräume. Fotos: M. Neitzke


Aber auch die Insekten, die sich von den Blättern der Heckenpflanzen ernähren, erfüllen eine wichtige Aufgabe für die Entwicklung und den Erhalt der Pflanzen als Rohstoffressource für die Kosmetik- und Pharmaindustrie. Viele der geschätzten sekundären Pflanzenstoffe werden nicht zu nur zur Anlockung von Insekten und Vögeln für die Bestäubung und Verbreitung, sondern zur Abwehr von Fressfeinden und Krankheitserregern gebildet. Die Angaben über die Zahl der Bock- und Rüsselkäfer, die auf den Blättern der Heckengehölze gefunden wurden schwanken zwischen 5 bei der Eberesche und 58 beim Weißdorn.


Sowohl Insekten als auch Säugetiere spielen als Konsumenten von Blättern und Früchten der Heckenpflanzen eine wichtige bei der Evolution von biologisch aktiven Inhaltsstoffen der Pflanzen, die häufig als Fraßschutz von den Pflanzen gebildet werden. Fotos M. Neitzke



Ausblick:


Hecken sind vom Menschen geschaffene (anthropogene) Lebensräume, die heute durch die Tätigkeit des Menschen in ihrer Existenz bedroht sind. Als fester Bestandteil der bäuerlichen Kulturlandschaft prägten sie jahrhundertelang das Landschaftsbild. Heute sind die verbliebenen Hecken durch Rodungen insgesamt stark gefährdet. Durch Flurbereinigungsmaßnahmen wurde bislang das Netz von Hecken und Feldgehölzen stark ausgedünnt. Wo es im Jahre 1877 in Deutschland 133,4 m Hecke pro ha gab, waren es 1954 noch 93,75 und 1979 nur noch 29,1 m. Hecken, Feldgehölze und Feldraine werden in unserer modernen Landwirtschaft als unproduktive Bestandteile der Landschaft betrachtet. Ihre Fähigkeit zur Speicherung von CO2 und ihre positiven Auswirkungen auch auf die benachbarten landwirtschaftlichen Nutzflächen wie z.B. Schutz vor Bodenerosion und Nährstoffaustrag, Verbesserung des Kleinklimas, Windschutz sowie Beherbergung von Schädlingsbekämpfern wird bei einer Reduktion des Lebensraums Hecke auf „Verlust von landwirtschaftlichen Produktionsfläche“ und „Hindernis bei der Bewirtschaftung landwirtschaftlicher Flächen“ völlig außer Acht gelassen. Wie problematisch das Fehlen von Hecken ist, zeigte sich beim Staubsturm im Jahr 2011 auf der Ostseeautobahn in der Nähe von Rostock, als es zu dem bisher schwersten Verkehrsunfall in Mecklenburg-Vorpommern kam. Der Grund hierfür war die ausgeräumte Landschaft mit zu großen Feldern und fehlender Strukturierung durch Hecken, so dass sich trockener Ackerboden mit Wind zu Staub mit fatalen Folgen entwickeln konnte. Zudem besitzen Hecken eine wichtige Funktion als Biotopverbundelement.

Mit der Zerstörung des Lebensraum Hecke verlieren wir nicht nur einen artenreichen Lebensraum, sondern auch eine wichtige Ressource. Die Pflanzen der Hecken sind potentielle Quellen für eine Vielzahl von bioaktiven Verbindungen mit zahlreichen Einsatzmöglichkeiten in der Kosmetik-, Arznei - und Nahrungsmittelindustrie. Die strukturelle Vielfalt des chemischen Aufbaus der pflanzlichen Wirkstoffe und die Komplexität ihrer Synthesewege innerhalb der Pflanzen machen den Nachbau vieler dieser Substanzen für Chemiker auch heute noch zu einer Herausforderung, so dass es zur Gewinnung aus natürlichen Quellen vielfach keine Alternative gibt. Dass das Potential der Heckengehölze mit den zurzeit bereits genutzten Pflanzen noch nicht ausgeschöpft ist, zeigt nicht nur die steigende Anzahl an angemeldeten Patenten, die die Verwendung von Pflanzeninhaltsstoffen in Körperpflegeprodukten zum Inhalt haben, sondern auch die vielversprechenden Forschungsergebnisse von bisher ungenutzten Pflanzen oder ungenutzten Pflanzenteilen. Untersuchungen von Heckengehölzen in Europa haben gezeigt, dass innerhalb der Arten eine hohe genetische Vielfalt existiert, die sich in einem breiten Spektrum bzgl. der morphologischen und biochemischen Merkmale manifestiert. Hecken stellen also eine wichtige genetische Ressource dar, mit deren Vernichtung wir uns vieler wichtiger Zukunftsoptionen berauben würden. Darüber hinaus verschwindet mit der Zerstörung der Hecken u.a. eine wichtige Nahrungsquelle für viele Tiere, wie z.B. Insekten, Vögel und Säugetiere. Deren ökologische Funktion reicht weit über den Lebensraum Hecke hinaus in die angrenzenden Lebensräume hinein. Hecken stellen mit ihren vielfältigen Leistungen einen wichtigen Bestandteil des „Naturkapitals Deutschland“ dar.

Wir haben es durch Integration nachhaltigen Konsums in unsere Leben und unseren Alltag in der Hand, ob wir diese Ressource auch noch in Zukunft nutzen können und ob der nächste Frühling stumm wird.





Hecken sind der Lebensraum in Deutschland mit dem höchsten Anteil an Arten (50,2 %), die als Rohstofflieferanten in der Kosmetikindustrie eine Rolle spielen.




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