Weiße Taubnessel (Lamium album)

Weiße Taubnessel (Lamium album L.) – eine Nessel, die nicht brennt


  • Bedeutung der Weißen Taubnessel für Biodiversität und menschliches Wohlbefinden
  • Die Bedeutung der Weißen Taubnessel in der Kosmetik und Körperpflege
  • Die Bedeutung der Weißen Taubnessel in der Heilkunde
  • Botanischer Exkurs – Täuschung nicht nur im Tierreich

Bedeutung der Weißen Taubnessel für Biodiversität und menschliches Wohlbefinden


Die Weiße Taubnessel ist eine 20-50 cm hohe, mehrjährige krautige Pflanze. Die von April bis in den Oktober hinein blühende Pflanze ist an Hecken- und Waldrändern, unter Gebüschen, an Wegen, Gräben, Zäunen und Mauern, aber auch auf Schuttflächen zu finden. Sie besiedelt vor allem nährstoffreiche Standorte. Oft trifft man sie daher mit der Brennnessel vergesellschaftet an Dunghaufen, auf Viehweiden und Viehlägern. Sie gilt daher auch als Stickstoffzeiger. Aufgrund einer lebhaften vegetativen Vermehrung durch unterirdische Ausläufer wächst sie in dichten Trupps und kann ausgedehnte Bestände bilden.[7, 15]


Die Weiße Taubnessel wächst aufgrund ihrer vegetativen Vermehrung durch unterirdische Ausläufer meist in dichten Trupps, häufig zusammen mit ihrer Namenspatin der Echten Brennnessel (rechts im Vordergrund). Fotos: M. Neitzke

Ihren deutschen Namen verdankt die Weiße Taubnessel sowohl der weißen Farbe ihrer Blüten als auch dem Aussehen ihrer Blätter. Ihre Blätter sind denen der Großen Brennnesseln sowohl in der Form als auch in der Ausgestaltung des Blattrandes zum Verwechseln ähnlich. Im Gegensatz zur Brennnessel besitzen die Blätter der Taubnessel aber keine Brennhaare und können daher bei Berührung auch nicht brennen. Taubnessel bedeutet also, dass es sich bei der Taubnessel um eine „leere“ Brennnessel, eine Nessel ohne Brennhaare handelt. Der volkstümliche Hinweis: „Schreist Du, juckt`s Dich, zweifle nicht, taub ist nit.“ kommt allerdings oft zu spät.[1] Ganz sicher lassen sich die beiden Pflanzenarten, auch für den ungeübten Beobachter, im blühenden Zustand unterscheiden. Daß die beiden Pflanzen nicht miteinander verwandet sind und zu ganz verschiedenen Familien gehören, sieht man dann an dem unterschiedlichen Blütenaufbau. Die Weiße Taubnessel gehört nämlich zu den Lippenblütlern (Lamiaceae) und die Große Brennnessel zur Familie der Brennnesselgewächse (Urticaceae). 


Können die Weiße Taubnessel (links) und die Große Brennnessel (rechts) ohne Blüten aufgrund der großen Ähnlichkeit der Blätter noch leicht miteinander verwechselt werden, ist diese Verwechselungsgefahr mit der Blüte vorbei. Die Blüten zeigen, dass die beiden Pflanzen zu ganz unterschiedlichen Familien gehören. Die Weiße Taubnessel (links) unterscheidet sich durch ihre großen weißen Lippenblüten deutlich von den Brennnesseln mit ihren unscheinbaren, kleinen Blüten (rechts). Fotos: M. Neitzke

Die Weiße Taubnessel ist eine seit dem Mittelalter erwähnte Heilpflanze. Über die Verwendung der Taubnesselblüten im Altertum ist nichts bekannt. Im Mittelalter wurde die Droge jedoch häufig benutzt und in allen Kräuterbüchern geführt. Auch in der Volksheilkunde erfreute sich die Pflanze großer Beliebtheit und wurde bei Harnverhaltung, Blutarmut, Hautunreinheiten, Lungenkrankheiten, blutigem Durchfall, Wunden und Geschwüren sowie dem „weißen Fluss“ der Frauen verwendet. [21] Der Tee von weißen Taubnesseln wurde „für alle kraftlosen, bleichsüchtigen und ewig müden Mädchen" empfohlen.[17] Heute ist ihr Einsatz in der Phytotherapie bei Entzündungen der oberen Luftwege, leichten Entzündungen der Mund, und Rachenschleimhaut, leichten oberflächlichen Entzündungen der Haut und unspezifischem Weißfluss (Fluor albus) anerkannt.[27]


Die ersten Belege für die Verwendung der Weißen Taubnessel in der Kosmetik und Körperpflege stammen ebenfalls bereits aus dem Mittelalter. So wurden Waschungen mit Laugen aus der Taubnessel zum Gelbfärben der Haare empfohlen.[7, 21] Auch heute werden Auszüge der Weißen Taubnessel bei der Herstellung von Haarpflegeprodukten aber auch von Körperpflegemitteln verwendet.


Großer Beliebtheit erfreut sich die Weiße Taubnessel aufgrund ihres angenehmen Geschmacks und ihrer hohen Vitamin- und Mineralstoffgehaltes in der Wildkräuterküche.[4, 17] Der Geschmack der jungen Triebe ist milder als der des Giersch oder der Brennnessel.[4] Der Vitamin C -Gehalt ist mehr als viermal so hoch wie der einer Zitrone (216 mg/ 100 g (Zitrone: 53 mg/100g). Beliebt bei Kindern ist das Auslutschen bzw. Auslullen des süßen Nektars aus den Blüten. Dazu werden die Blüten vorsichtig aus dem Kelch gezupft und anschließend wird versucht den süßen Nektar aus der Blütenkronröhre zu saugen.

Als Bestäuber der zwittrigen Blüten kommen vor allem langrüsselige Arten in Betracht.[18, 22, 32] An die 20 verschiedene Wildbienenarten wurden bei dem Besuch der Blüten der Weißen Taubnessel beobachtet. Für diese stellt sie auch aufgrund ihrer langen Blühperiode eine wichtige Nektar- und Pollenquelle dar.

Die Bestäubung der Weißen Taubnessel findet durch langrüsselige Wildbienen statt. Diese sorgen für eine Fremdbestäubung und damit für die Aufrechterhaltung der genetischen Diversität. Fotos: M. Neitzke

Die Bedeutung der Weißen Taubnessel in der Kosmetik und Körperpflege


In der Kosmetik- und Körperpflege werden sowohl die Blüten als auch die Blätter sowie die ganze oberirdische Pflanze eingesetzt. Aufgrund ihrer komplexen Zusammensetzung an bioaktiven Inhaltsstoffen, entfalten Extrakte der Weißen Taubnessel eine Vielzahl an Wirkungen, die von der Kosmetik- und Körperpflegeindustrie genutzt werden, um wirksame Produkte auf der Basis natürlicher Inhaltsstoffe herzustellen. Zurzeit sind in den einschlägigen Datenbanken etwa 60 Produkte gelistet, die Auszüge der Weißen Taubnessel enthalten.[13]

Die ältesten Hinweise auf eine Verwendung der Weißen Taubnessel in der Kosmetik bzw. Körperpflege stammen aus dem späten Mittelalter. So wird im „Gart der Gesundheit“ (1485), dem ersten großen durchgehend illustrierten gedruckten Kräuterbuch in deutscher Sprache erwähnt, dass die Taubnessel zum Gelbfärben der Haare dient.[7, 21] „Die Meister sagen, dass diese Nesseln eine andere Natur haben als die Brennnesseln, denn sie sind nicht so heiß und trocken. Mit diesen Nesseln macht man die Haare gelb, indem man sie in eine Lauge legt und die Haare damit wäscht.“ [21] Auch wenn es heute sicher effektivere Methoden gibt, um Haare zu färben, wird die Weiße Taubnessel auch heute vielfach in Haarpflegeprodukten verwendet. Die Weiße Taubnessel ist wirksamer Bestandteil von Antischuppenshampoos. Auch sollen sie in Shampoos für glänzendes Haar sorgen und helfen Haarausfall zu bekämpfen und den Haarwuchs zu fördern. Extrakte der Taubnessel sollen hierbei direkt auf die Haarwurzeln wirken.[14] In Pflegemitteln für die Haut wirken Extrakte der Weißen Taubnessel hautpflegend, antioxidativ, zusammenziehend (adstringierend), entzündungshemmend, antimikrobiell, juckreizstillend, beruhigend, wundheilungsfördernd und parfümierend.[5 ,6, 9,12, 16, 23, 25, 26]

Die Bedeutung der Weißen Taubnessel in der Heilkunde


Die Weiße Taubnessel ist eine alte Heilpflanze. Hildegard von Bingen (1098-1179) schrieb der Weißen Taubnessel, die sie „Binsuga“ oder „Bienensaug“ nannte eine gemütsaufhellende Wirkung zu: “Wer sie genießt, lacht gern, denn ihre Wärme, die auf die Milz einwirkt, erheitert das Herz“. Im „Hortus Sanitas“ wird sie nicht nur zum Gelbfärben der Haare, sondern auch zur Behandlung von Nierensteinen und „faulenden Wunden“ empfohlen. Hier heißt es: „Die Wurzel in Wein gekocht und den Wein getrunken, nimmt den Stein in den Lenden (…). Für die faulenden Wunden am Leib nimm das Pulver von gedörrten Taubeneseln mit Osterluzei.“ [21] Der deutsche Arzt, Naturforscher und Botaniker Lonicerus (1528-1586) empfahl sie „für die weiße Zeit der Frauen“ sowie Taubnesselbäder zum „Erweichen es Uterus und zum Zerteilen von Knollen und Geschwülsten“.[20] Auch der deutsche Arzt und Botaniker Hieronymus Bock (1498-1554) und der italienische Arzt und Botaniker Matthiolus (1501-1577) empfahlen die Weiße Taubnessel als „Reinigungs- und Heilmittel für Geschwülste, faulende Wunden, fressende Geschwüre und Krebs“.[20]


Heute ist in der Phytotherapie ihre innerliche Anwendung bei Entzündungen der oberen Luftwege und leichten Entzündungen der Mund- und Rachenschleimhaut ebenso anerkannt wie die äußerliche Anwendung bei leichten oberflächlichen Entzündungen der Haut und unspezifischem Weißfluss (Fluor albus). Bei letzterem wird auch eine äußere Anwendung als Sitzbad empfohlen.[1, 27, 28] . In der Homöopathie wird die Weiße Taubnessel vor allem bei Entzündungen der Harnwege und weiblichen Geschlechtsorgane verwendet. Als Zusatz sind die Blüten in verschiedenen Nerven- und Schlaftees enthalten.[28]


In der Volksheilkunde wurde die Weiße Taubnessel wegen ihres Schleimgehaltes bei Störungen im Verdauungstrakt und ihrer zusammenziehenden Eigenschaften bei Magen- und Darmkatarrhen verordnet. Außerdem verwendete man die Droge bei Menstruationsbeschwerden.[7]

Die Einsatzgebiete der Weißen Taubnessel sowohl in der Phytotherapie also auch in der Traditionellen Medizin ergeben sich aus den Wirkungen, die die Taubnessel aufgrund ihres Gehaltes an sekundären Stoffwechselprodukten ausübt. In der Phytotherapie stehen die zusammenziehende (adstringierend), entzündungshemmende (antiphlogistisch), sekretionshemmende, gewebeverdichtende, die Durchlässigkeit der kleinen Blutäderchen hemmende (kapillarpermeabilitätshemmend), juckreizstillende und die leichte oberflächenbetäubende (oberflächenanästhesierend) Wirkung im Vordergrund.[27] Nachgewiesen sind außerdem eine antimikrobielle Wirkung sowohl gegen gram positive Bakterien wie Bacillus subtilis, Bacillus faecalis, Staphylococcus aureus, Staphylococcus epidermidis, Micrococcus luteus als auch gram negative Bakterien, wie Enterobacter aerogenes, Escherichia coli, Klebsiella pneumoniae, Pseudomonas aeruginosa, Proteus hauseri, Salmonella enterica und Hefepilze (Candida albicans, Candida glabra).[5, 9, 26] Eine antivirale Aktivität konnte gegen Erreger der Hepatitis C nachgewiesen werden.[26,31,33] Nachweise für eine Förderung der Wundheilung und eine entzündungshemmende Wirkung konnten ebenfalls erbracht werden.[6, 16, 24, 26, 30]. 

Die Weiße Taubnessel – eine Nessel, die nicht brennt


Die weiße Taubnessel (Lamium album) gehört zur Familie der Lippenblütengewächse (Lamiaceae). Ihre weiße Blütenkrone ist wie bei allen Lippenblütengewächsen durch das Verwachsen von 5 Blütenblättern entstanden. Während die Kronblätter der 2 – 2,5 cm langen Blütenkrone im unteren Teil zu einer etwa 7 mm langen, aufwärts gebogenen Röhre zusammengewachsen sind, bilden, sie im oberen Teil einen zweilippigen Saum. Zwei Kronblätter sind zu einer helmartigen, ganzrandigen Oberlippe verwachsen und 3 zu einer Unterlippe mit einem großen verkehrt herzförmigen Mittellappen. Die seitlichen Lappen sind stark zurückgebildet.[10, 15, 22] Die Unterlippe dient als Landeplatz für die blütenbesuchenden Insekten. Der Bau der Blütenkrone der Lippenblütler erinnert an die Gestalt eines geöffneten Mauls mit einer Ober- und Unterlippe. Diese Ähnlichkeit hat auch zu dem Namen der Familie, nämlich „Lippenblütler“ geführt. Der wissenschaftliche Gattungsname der Taubnessel leitet sich von griech. „lámos“ = „Schlund, Rachen“ ab und bezieht sich auf die weit geöffnete Blüte.[1, 8] Der Artzusatz „album“ lat. =“ weiß“, bezeichnet die weiße Blütenfarbe dieser Art. Am Grund der schwach duftenden Unterlippe der weißen Blütenkrone befinden sich olivfarbene Flecken, die den Weg ins Blüteninnere weisen. Sonst ist die Blüte geruchlos.[18]


Die Blütenkrone der Taubnessel besteht aus einer helmförmigen, ganzrandigen Oberlippe und einer Unterlippe. Fotos: M. Neitzke


Die Gestalt der Blütenkrone der Weißen Taubnessel erinnert an das geöffnete Maul eines Tieres. Diese Ähnlichkeit zwischen der Gestalt der Blütenkrone der Vertreter der Lippenblütengewächse und den Lippen des Maules eines Tieres hat der ganzen Familie ihren Namen gegeben. Fotos: M. Neitzke


Am Grund der Unterlippe der 20-25 mm langen, weißen Blütenkrone befinden sich olivfarbene Flecken, die den Insekten, wie hier einer Gartenhummel, den Weg ins Blüteninnere weisen. Foto: M. Neitzke


Die große Gartenhummel klammert sich an der Oberlippe der Blütenkrone fest und versenkt dann ihren langen Rüssel (12- 21 mm) in der Blütenkronröhre, um an dem Nektar am Grund der Blüte zu gelangen. Fotos: M. Neitzke

Dieser Aufbau der Blüte bedeutet, dass es nur eine Spiegelebene (Symmetrieebene) gibt, die die Blüte in zwei spiegelgleiche Hälften teilt. Die Symmetrieachse verläuft vertikal, also senkrecht von oben nach unten. Die Blüte ist zweiseitig symmetrisch. Blüten mit nur einer Symmetrieebene, die also nur aus zwei spiegelgleichen Hälften bestehen, werden als zygomorph oder dorsiventral bezeichnet.[15] Die Bezeichnung dorsiventral bezieht sich auf die Tatsache, daß die Ober- und Unterseite bzw. der Rücken (dorsum) und der Bauch (venter) der Blütenkrone unterschiedlich gebaut sind.


Die Blüten der Weißen Taubnessel haben nur eine Symmetrieebene (rote Linie), die die Blüte in zwei deckungsgleiche Hälften teilt. Foto: M. Neitzke

Im Gegensatz zur dorsiventralen Blütenkrone weist der Kelch einen radiären Bau mit fünf gleich großen, lang ausgezogenen, spitzen Kelchzähnen auf. 



Die Blüte der Weißen Taubnessel besitzt, wie es für die Familie der Lippenblütengewächse charakteristisch ist, vier Staubblätter, von denen jeweils 2 länger und 2 kürzer sind. Diese sind paarweise hintereinander angeordnet. Die vier Staubblätter und der Griffel mit der zweispaltigen Narbe ragen weit aus der Kronröhre heraus, aber nicht über die Oberlippe hinaus. Sie liegen dicht unter der Oberlippe, die ein Schutzdach für die Staubblätter und den Griffel mit der Narbe bildet.[18, 32] Besucht nun ein Insekt eine Taubnesselblüte und steckt auf der Suche nach Nektar seinen Kopf in die Blütenöffnung, so werden die Narbe und die Staubbeutel mit dem Kopf und dem Rücken berührt. Da sich die Staubbeutel nach unten öffnen, pudert sich das Insekt an seiner Oberseite mit dem Pollen ein. Um eine Fremdbestäubung zu vermeiden, reifen die Staubbeutel vor der Narbe. Die Blüten sind also vormännlich. Die Nektarabsonderung findet an der Basis des tief vierteiligen, oberständigen Fruchtknotens durch gelbliche Nektardrüsen statt.[10] Über dem Fruchtknoten befindet sich als Schutz vor dem Eindringen von Nässe, ein schräg stehender Haarring.  Der Nektar wird in so großer Menge abgesondert, dass er in der fast senkrechten Blütenkronröhre, oft mehrere Millimeter hochsteht. Davon kann man sich selbst überzeugen, wenn man eine Blüte vorsichtig aus dem Kelch zupft, und am unteren Ende der Blüte saugt. 


Der Griffel und die 4, paarweise hintereinander angeordneten Staubblätter liegen dicht unter der helm- bzw. löffelförmigen Oberlippe. Fotos: M. Neitzke

Die Zeichnungen des deutschen Naturforschers J. Sturm[29] und des schwedischen Botanikers C. A. M. Lindman[19] zeigen Details des Blütenaufbaus der Weißen Taubnessel. links: J. Sturm: a) Pflanze, b) Blüte, c) Kelch, d) geöffnete Krone, e) Staubgefäß, f) Fruchtknoten, g) Fruchtkelch, h) Frucht, i) Fruchtteil nebst Durchschnitt; rechts: Lindman: A: Lamium album: 1) Pflanze, 2) Blüte mit Kelch, 3) Fruchtknoten mit Nektardrüse. 

Aufgrund der Größe der Blüte und der Länge der Kronröhre können nur langrüsselige Insekten, vor allem Hummeln, die Blüten der Taubnesseln bestäuben. Zu den häufigsten Bestäubern zählt die Gartenhummel (Rüssellänge der Arbeiterin: 12-21 mm) und die Ackerhummel (Rüssellänge: 12-15 mm).[11, 18] Insgesamt wurden etwa 20 verschiedene Insektenarten bei dem Blütenbesuch der Taubnessel beobachte).[22, 32] Die Dunkle Erdhummel (Bombus terrestris) durchbeißt die Blüte etwas oberhalb des Kelchs und gelangt so durch Einbruch an den Nektar. Die Honigbiene nutzt dann die von der Erdhummel gebissenen Löcher, um ebenfalls in den Genuss des Nektars zu kommen. Eine Bestäubung findet bei diesem Nektarraub nicht statt.


Die Gartenhummel ist aufgrund ihres langen Rüssels in der Lage den Nektar am Grund der Blüte zu erreichen. Fotos: M. Neitzke


Der Rüssel der Gartenhummel ist zwar lang genug um an den Nektar am Grund der Blütenkronröhre zu gelangen, dafür scheint das Zielen auf der wackeligen Basis aber umso schwieriger zu sein. Fotos: M. Neitzke

Geschafft. Fotos: M. Neitzke


Steckt ein Insekt, wie hier die Gartenhummel, ihren Kopf in die Blüte, um an den Nektar zu gelangen, berührt es mit seiner Oberseite die Staubbeutel unter der Oberlippe (rechts) und streift den Pollen in seinen Pelz auf Brust und Rücken oder auf die Stirn. Fotos: M. Neitzke 


Beim Zurückziehen des Kopfes nach Beendigung der Nektarmahlzeit, ist der Kopf und die Stirn mit dem gelben Pollen bestäubt. Fotos: M. Neitzke

Bei ihrem nächsten Blütenbesuch wird der Pollen auf der Narbe abgeladen. Fotos: M. Neitzke

Nach jeder Nektarmahlzeit muss Rüssel erst wieder ausgiebig geputzt werden. Fotos: M. Neitzke

Zu den Wildbienen, die die Weiße Taubnessel auch als Pollenquelle nutzen, gehört u.a. die kleine Wiesenhummel (Bombus pratorum). Die Wiesenhummel ist eine der ersten Hummelarten, die aus ihren Winterquartieren auftauchen, weshalb sie in England auch den Beinamen „Frühe Hummel“ trägt. Mit einer maximalen Körperlänge von 17 mm bei den Königinnen und 14 mm bzw. 13 mm bei den Arbeiterinnen und Männchen gehört die Wiesenhummel zu den kleinsten einheimischen Hummelarten. Die Pollenernte an den großen Blüten der Weißen Taubnessel stellt für die kleine Hummel daher eine Herausforderung dar, die sie durch ein Anklammern an die Oberlippe der Blüte meistert. In der Rückenlage kann dann der Pollen geerntet werden.[2, 3]


Die Wiesenhummel gehört zu den kleinsten einheimischen Hummeln. Eine Arbeiterin der Wiesenhummel fliegt die Blüten einer Weißen Taubnessel an, um den Pollen zu sammeln. Die gelben, dicken Höschen zeigen, dass sie bereits bei anderen Blüten zuvor erfolgreich Pollen geerntet hat. Fotos: M. Neitzke


Zur Pollenernte hängt sich die die Arbeiterin der Wiesenhummel an die Oberlippe der Taubnesselblüte, um dann in Rückenlage den Pollen zu ernten. Fotos: M. Neitzke


Für eine Nektarmahlzeit muss die Wiesenhummel, die nur einen kurzen Rüssel besitzt, tief in die Blüte der Weißen Taubnessel hinabtauchen. Fotos: M. Neitzke


Es muss da doch auch noch einen einfacheren Weg geben! Ob das Anstechen der Blütenkrone von oben eventuell eine Abkürzung darstellt? Fotos: M. Neitzke


Aber auch hier sind einem kurzen Rüssel Grenzen gesetzt. Einen Versuch ist es allemal wert. Fotos: M. Neitzke

Die einzelnen Blüten sind in 6 - 16blütigen Scheinquirlen angeordnet, die in bis zu 2 - 6 Etagen übereinanderstehen. Dies erleichtert den Insektenbesuch erheblich. Diese können energiesparend in einem Scheinquirl von einer zur nächsten Blüte wechseln wie an einem Buffet.

Eine Ackerhummel wandert in einem Scheinquirl, wie an einem Büffet, von Blüte zu Blüte. Fotos: M. Neitzke


Eigentlich sollte doch bei so vielen Blüten Platz für mehrere Besucher gleichzeitig sein. Die Gartenhummel beäugt den Siebenpunktmarienkäfer auf „ihrem“ Buffet doch sehr kritisch. Da der dickfellige Käfer sich nicht wegschupsen lässt, zieht sie den Abflug vor. Fotos: M. Neitzke

Ein Blick in den Kelch einer Taubnesselblüte zeigt, dass der Fruchtknoten tief vier geteilt ist. Foto: M. Neitzke 

Bei der Reife zerfällt die Fruchtknoten in 4 Teilfrüchte (Klausen), die einen ölhaltigen Anhang (Elaiosom) tragen, der gerne von Ameisen gefressen wird. Sie schleppen die Früchte in ihre Nester und tragen dadurch zur Verbreitung bei.


Die reifen Teilfrüchte der Weißen Taubnessel mit ihren ölhaltigen Anhängen (Elaiosom) werden von dem sich verengenden Kelch nach oben gedrückt und vom Wind herausgeschüttelt. Ihre Verbreitung besorgen Ameisen. Foto: M. Neitzke

Die Blätter der Weißen Taubnessel sehen denen der Großen Brennnessel (Urtica dioica) täuschend ähnlich. Wie bei dieser ist die Blattspreite der 3-7 cm langen Blätter eiförmig bis eiförmig-lanzettlich mit lang zugespitzter Blattspitze. Bei beiden ist der Blattgrund herzförmig ausgebildet. Allerdings ist der Blattrand bei den Blättern der Großen Brennnessel deutlich grober gezähnt als der der Weißen Taubnessel. Die scharf gesägten Blätter der Weißen Taubnessel sind zwar beiderseits behaart, weisen aber keine Brennaare auf, so dass sie bei Berührung auch nicht brennen können. Ob dieser Täuschungsversuch erfolgreich ist?



 An dem für die Familie der Lippenblütler charakteristischen vierkantigen Stängel stehen sie sich jeweils zu zweit gegenüber. Diese Blattstellung wird als gegenständig bezeichnet. Da jedes Blattpaar mit dem jeweils darüber bzw. darunter stehenden Paar über Kreuz steht, spricht man auch von einer kreuzgegenständigen oder dekussierten Blattstellung. Die kreuzgegenständige Blattstellung verhindert eine gegenseitige Beschattung der Blätter. Diese Blattstellung ist ebenso wie der vierkantige Stängel, die zygomorphe Blüte und der vierteilige Fruchtknoten ein charakteristisches Merkmal der Lippenblütengewächse. Treten diese vier Merkmale zusammen auf, kann die entsprechende Pflanze mit Sicherheit dieser Familie zugeordnet werden.


Die kreuzgegenständige (dekussierte) Blattstellung (links) an dem vierkantigen Stängel (oben rechts) verhindert eine gegenseitige Beschattung der Blätter und ermöglicht dadurch eine optimale Lichtausnutzung. Das Aussehen der Blätter der Weißen Taubnessel (unten rechts, linkes Blatt) und der der Großen Brennnessel (rechtes Blatt) weisen sowohl in der Blattform als auch der Ausgestaltung des Blattrandes eine große Ähnlichkeit auf. Fotos: M. Neitzke

Der unterirdische Wurzelstock überwintert, und treibt im Frühjahr zahlreiche neue Blütensprosse sowie neue unterirdische Ausläufer.[7] 

Literatur:



  1. Bäumler, S. (2012): Heilpflanzenpraxis heute, Band 1 Arzneipflanzenporträts. 2. Aufl. Urban & Fischer, München, 701 S.
  2. Bellmann, H. (1999): Der neue Kosmos-Insektenführer. Kosmos-Naturführer, Franckh-Kosmos, Stuttgart, 446 S.
  3. Bellmann, H. (2017): Bienen Wespen Ameisen. Kosmos-Naturführer, Franckh-Kosmos, Stuttgart, 334 S.
  4. Bross-Burkhardt, B. (2006): Wildkräuter und Wildgemüse, erkennen – sammeln – genießen. Neuer Umschau Buchverlag GmbH, Neustadt an der Weinstraße, 167 S.
  5. Chipeva, V. A., Petrova, D. C., Geneva, M. E., Dimitrova, M. A., Moncheva, P. A. & V. M., Kapchina-Toteva (2013): Antimicrobial activity of extracts from in vivo and in vitro propagated Lamium album L. plants. Afr. J. Trad. Complement. Altern. Med., 10: 559-563.
  6. Czerwińska, M. E., Świerczewska, A., Woźniak, K. & A. K. Kiss (2017): Bioassay-guided isolation of iridoids and phenylpropanoids from aerial parts of Lamium album and thier antiinflammatroy activity in human neutrophils. Planta Med. 83: 1011-1019.
  7. Dörfler, H.-P. & G. Roselt (1984): Heilpflanzen gestern und heute. 4. Aufl. Urania-Verlag, Leipzig, 335 S.
  8. Düll, R. & H. Kutzelnigg (1994): Botanisch-ökologisches Exkursionstaschenbuch. 5. Aufl., Quelle & Meyer, Heidelberg, Wiesbaden, 590 S.
  9. Fathi, H., Gholipour, A., Ebrahimzadeh, M. A., Yasari, E., Ahanjan, M. & B. Parsi (2017): In vitro evaluation of the antioxidant, total phenolic and flavonoid contents and antibacterial activity of Lamium album extracts. IJPSR, 9: 210-219.
  10. Graf, J. (1975): Tafelwerk zur Pflanzensystematik. J.F. Lehmanns Verlag, München. 161 S.
  11. Hintermeier, H.: Heilpflanzen, Nahrung für Insekten, Vögel, Säugetiere. Selbstverlag, 280 S.
  12. https://www.haut.de
  13. https://www.incidecoder
  14. https://www.reseedhair.com/pages/ingridients
  15. Jäger, E.J. (Hrsg.) (2011): Rothmaler - Exkursionsflora von Deutschland. Gefäßpflanzen: Grundband. 20. Aufl., Springer Spektrum, Berlin Heidelberg.
  16. Khanaki, K., Fekri, A., Abedinzade, M., Mohammadi, E. & F. Aghanjanpour (2022): Potential anti-inflammatory effects of Lamium album extract through caspase-3 and cyclogenase-2 genes expression in a rat model of middle cerebral artery occlusion. Folia Medica, 64: 275-282.
  17. Klemme, B. & D. Holterman (1996): Un-Kräuter zum Genißen. Noch mehr Delikatessen am Wegesrand. 1. Aufl., Walter Rau Verlag, Düsseldorf, 148 S.
  18. Kugler, H. (1970): Blütenökologie, Gustav Fischer Verlag, Stuttgart, 345 S.
  19. Lindman, C.A. M. (1901-1905): Bilder ur Nordens Flora.
  20. Madaus, G. (1938): Lehrbuch der biologischen Heilmittle. Georg Thieme Verlag, Leipzig.
  21. Mayer, J. G., Uehleke, B. & K. Saum (2005): Das große Handbuch der Klosterheilkunde. 1. Aufl., Zabert Sandmann GmbH, München, 512 S.
  22. Müller, H. (1873): Die Befruchtung der Blumen durch Insekten. Leipzig.
  23. Matkowski, A. & M. Piotrowska (2006): Antioxidant and free radical scavenging activities of some medicinal plants from the Lamiaceae. Fitoteraoia, 77: 346-353.
  24. Paduch, P., Wójciak-Kosior, M. & G. Matysik (2007): Investigation of biological activity of Lamium albi flos extracts. J. Ethnopharmacol. 110: 69-75.
  25. Paduch, R., Matysik, G., Wójcial-Kosior, M., Kandefer-Szerszeń, M., Skalska-Kamińska, A., Nowak-Kryska, M. & P. Niedziela (2008): Lamium album extracts express free radical scavenging and cytotoxic activities. Polish J. of Envirnon. Stud., 17: 569-580.
  26. Pourmirzaee Sheikhali Kelayeh, T., Abedinzade, M. & A. Ghorbani, A. (2019): A review on biological effects of Lamium album (white dead nettle) and its components. J. Herbmed. Pharmacol., 8: 185-193. 
  27. Schilcher, H. & S. Kammerer (2003): Leitfaden Phytotherapie. 2. Aufl., Urban & Fischer, München, Jena, 998 S.
  28. Schönfelder, I. & P. Schönfelder (2010): Der Kosmos Heilpflanzenführer. Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart, 446 S.
  29. Sturm, J. (1903): J. Sturms Flora von Deutschland. 11. Band: Röhrenblütler im weiteren Sinne. Tubatae. 2. Hälfte. 2. Aufl. Hrsg.: Krause, E. H. L., Stuttgart, Verlag von K. G. Lutz, 223 S., 64 Tafeln.
  30. Talebpour Amiri, F., Mirazee, F., Hasanzadeh, S. N., Enayathifard, R. & S. Shahani (2021): Therapeutic potential of ointment containing methanol extract of Lamium album L. on cutaneous wound healing in rats. J. Med. Plants, 20: 72-84.
  31. Todorov, D., Dimitrova, M. Shishkova, K., Yordanova, Z. P., Kapchina-Toteva, V. & S. Shikov (2013): Comparative antiherpes effects of chloroform in vitor and in vivo extract, derived from Lamium album L. Bulg. J. Afric. Sci., 19: 190-193. 
  32. Westrich, P. (2018): Die Wildbienen Deutschlands. Eugen Ulmer, Stuttgart, 821 S.
  33. Zhang, H., Rothwange, K., Mesecar, A. D., Sabahi, A., Rong, C., & H. H. Fong (2009): Lamiridosins, hepatitic C virus entry inhibitions from Lamium album. J. Nat. Prod., 72: 2158-2162.
Share by: